Das oberste Deutsche Gericht hat am 18.12.2013 im Ergebnis den Braunkohle-Tageabbau nicht gestoppt. Aber es hat ausdrücklich die Rechte der Bürger gestärkt, die von Umsiedlungen und Enteignungen betroffen sind.
Das Gericht hatte zwei Anträge zu beurteilen.
1.
Der erste Kläger ist Eigentümer eines im Abbaugebiet liegenden Grundstücks, das mit einem selbst genutzten Wohnhaus bebaut ist.
Er hat mit seiner Klage sein Recht auf „Heimat“ geltend gemacht.
Das Bundesverfassungsgericht stellt zwar fest, dass die Verfassungsbeschwerde gerechtfertigt ist, aber sagt gleichfalls, dass es trotz des Erfolges der Verfassungsbeschwerde bei der bloßen Feststellung der Verfassungsverstöße bleibe, da das Grundstück mittlerweile durch den Tagebau in Anspruch genommen und eine Rückgabe an den Kläger damit faktisch ohne Wert sei.
Zudem sei absehbar, dass eine erneute Überprüfung durch die Gerichte unter Zugrundelegung der vom Verfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zu dem Ergebnis führen würde, dass der Tagebau Garzweiler zur Sicherung der Energieversorgung als vernünftigerweise geboten angesehen wird und dass auch die Gesamtabwägung zu dem Tagebau bei nachvollziehender Prüfung durch die Gerichte Bestand haben würde.
Das Gericht macht in seinen Leitsätzen deutlich, welchen Grundsätzen eine Enteignung folgen muss und wägt dabei das Grundrecht des Bürgers auf sein Eigentum aus Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetzes gegen die Interessen der Allgemeinheit ab. („Eine Enteignung erfordert eine Gesamtabwägung zwischen den für das konkrete Vorhaben sprechenden Gemeinwohlbelangen einerseits und den durch seine Verwirklichung beeinträchtigten öffentlichen und privaten Belangen andererseits“).
Deutlich weist es aber auch darauf hin, dass letztendlich die Politik die maßgeblichen Entscheidungen darüber trifft, welche Gemeinwohlziele verfolgt werden. Dem von der Politik bestimmten Gesetzgeber steht nämlich ein eigenständiger Einschätzungsspielraum zu, der nur einer eingeschränkten
verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Es ist lediglich darauf zu achten, dass das Gesetz hinreichend bestimmt regelt, zu welchem Zweck, unter welchen Voraussetzungen und für welche Vorhaben enteignet werden darf. Dazu stellt das Gericht fest:
„Mit dem Abbau von Braunkohle wird ein gesetzlich hinreichend
bestimmtes und ausreichend tragfähiges Gemeinwohlziel umgesetzt. Es ist
zuallererst eine energiepolitische Entscheidung des Bundes und der
Länder, mit welchen Energieträgern und in welcher Kombination der
verfügbaren Energieträger sie eine zuverlässige Energieversorgung
sicherstellen wollen. Hierbei steht ihnen ein weiter Gestaltungs- und
Einschätzungsspielraum zur Verfügung. Das Grundgesetz bietet keinen
Maßstab für die zu einem bestimmten Zeitpunkt allein verfassungsgemäße
oder auch nur verfassungsrechtlich vorzugswürdige Energiepolitik des
Bundes oder eines Landes. Vom Bundesverfassungsgericht können
energiepolitische Grundentscheidungen daher nur darauf überprüft werden,
ob sie offensichtlich und eindeutig unvereinbar sind mit
verfassungsrechtlichen Wertungen, wie sie insbesondere in den
Grundrechten oder den Staatszielbestimmungen, hier namentlich dem
Umweltschutz (Art. 20a GG), zum Ausdruck kommen.“
In einem zweiten Schritt rügt das Gericht, dass dem Bürger ein effektiver Rechtsschutzes gegen Verletzungen der Eigentumsgarantie beiseite gestellt sein muss, der so rechtzeitig eröffnet sein muss, dass im Hinblick auf Vorfestlegungen oder den tatsächlichen Vollzug des die Enteignung erfordernden Vorhabens eine grundsätzlich ergebnisoffene Überprüfung aller Enteignungsvoraussetzungen realistisch erwartet werden kann.
Aus den Leitsätzen:
• Nach Art. 14 Abs. 3 GG kann eine Enteignung nur durch ein hinreichend gewichtiges Gemeinwohlziel gerechtfertigt werden, dessen Bestimmung dem parlamentarischen Gesetzgeber aufgegeben ist.
Das Gesetz muss hinreichend bestimmt regeln, zu welchem Zweck, unter welchen Voraussetzungen und für welche Vorhaben enteignet werden darf. Allein die Ermächtigung zur Enteignung für „ein dem Wohl der Allgemeinheit dienendes Vorhaben“ genügt dem nicht.
• Dient eine Enteignung einem Vorhaben, das ein Gemeinwohlziel im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG fördern soll, muss das enteignete Gut unverzichtbar für die Verwirklichung dieses Vorhabens sein.
Das Vorhaben ist erforderlich im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG, wenn es zum Wohl der Allgemeinheit vernünftigerweise geboten ist, indem es einen substantiellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels leistet.
• Eine Enteignung erfordert eine Gesamtabwägung zwischen den für das konkrete Vorhaben sprechenden Gemeinwohlbelangen einerseits und den durch seine Verwirklichung beeinträchtigten öffentlichen und privaten Belangen andererseits.
• Der Garantie effektiven Rechtsschutzes gegen Verletzungen der Eigentumsgarantie wird nur genügt, wenn Rechtsschutz gegen einen Eigentumsentzug so rechtzeitig eröffnet wird, dass im Hinblick auf Vorfestlegungen oder den tatsächlichen Vollzug des die Enteignung erfordernden Vorhabens eine grundsätzlich ergebnisoffene Überprüfung aller Enteignungsvoraussetzungen realistisch erwartet werden kann.
2.
Dagegen unterlag die Klage des Bund für Umwelt- und Naturschutz aus anderen Gründen.
Diese Klage stützt sich unter anderem auf das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 des Grundgesetzes.
Das Gericht stellt zwar fest, dass Art. 11 des Grundgesetzes auch das Verbleiben an einem in Freizügigkeit gewählten Ort und damit grundsätzlich auch vor einer erzwungenen Umsiedlung schützt.
Aber er berechtigt nicht dazu, an Orten im Bundesgebiet Aufenthalt zu
nehmen und zu verbleiben, an denen Regelungen zur Bodenordnung oder
Bodennutzung einem Daueraufenthalt entgegenstehen, wenn diese Regelungen allgemein gelten und nicht gezielt darauf gerichtet sind, die Freizügigkeit bestimmter Personen oder Personengruppen zu treffen.
Damit gibt es kein eigenständiges Recht auf Heimat.
Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass die besonderen Belastungen der von Umsiedlung Betroffenen, die mit dem Verlust der sozialen und räumlich-städtebaulichen
Beziehungen einhergehen, bereits Berücksichtigung gefunden haben, soweit Artikel 14 des Grundgesetzes das Eigentum der Bürger schützt.
Daraus folgt, dass „Heimat“ ein Teil des Eigentums ist und in den Grenzen der vom Grundgesetz gewährten Eigentumsfreiheit geschützt ist.
Das Gericht formuliert hierzu die folgenden Leitsätze:
• Das Grundrecht auf Freizügigkeit berechtigt nicht dazu, an Orten im Bundesgebiet Aufenthalt zu nehmen und zu verbleiben, an denen Regelungen zur Bodenordnung oder Bodennutzung einem Daueraufenthalt entgegenstehen, sofern sie allgemein gelten und nicht gezielt die Freizügigkeit bestimmter Personen oder Personengruppen einschränken sollen.
• Art. 14 GG schützt den Bestand des konkreten (Wohn-)Eigentums auch in dessen gewachsenen Bezügen in sozialer Hinsicht, soweit sie an örtlich verfestigten Eigentumspositionen anknüpfen.
Art. 14 GG vermittelt den von großflächigen Umsiedlungsmaßnahmen in ihrem Eigentum Betroffenen einen Anspruch darauf, dass bei der Gesamtabwägung das konkrete Ausmaß der Umsiedlungen und die mit ihnen für die verschiedenen Betroffenen verbundenen Belastungen berücksichtigt werden.
BVerfG, 1 BvR 3139/08 vom 17.12.2013
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20131217_1bvr313908.html
Pressemitteilung Nr. 76/2013 des Bundesverfassungsgerichtes vom 17. Dezember 2013 zum Urteil vom 17. Dezember 2013 -1 BvR 3139/08- -1 BvR 386/08-
http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg13-076