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BAG - 18.10.2016 - 9 AZR 196/16 (A) - Was ist Urlaub oder wie „heilig“ ist der deutsche Urlaubsanspruch ?

Können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche auf den Erben eines Arbeitnehmers übergehen ?

Thursday, 12 July 2018 | | | | Kommentieren !
Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub geht nicht unter, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet.
Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub geht nicht unter, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet.

Diese Frage hatte das Bundesarbeitsgericht noch einmal im Jahre 2016 angetrieben, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eine entsprechende Frage vorzulegen.

EuGH: Urlaubsansprüche gehen auf den Erben über

Noch im Jahre 2014 hatte der EuGH klargestellt:

Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub geht nicht unter, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. Eine solche Abgeltung kann nicht davon abhängen, dass der Betroffene im Vorfeld einen Antrag gestellt hat.
(EuGH, Urteil vom 12. Juni 2014 – C -118/13 -Bollacke)

Im Urteil des EugH heißt es dazu unter anderem:

(…) der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub (ist) als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen (…), von dem nicht abgewichen werden darf und den die zuständigen nationalen Stellen nur in den Grenzen umsetzen dürfen, die in der durch die Richtlinie 2003/88 kodifizierten Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 307, S. 18) selbst ausdrücklich gezogen werden.
(EuGH, Urteil vom 12. Juni 2014 – C -118/13 –Bollacke;
vgl. Urteile Schultz-Hoff u. a., C-350/06 und C-520/06, EU:C:2009:18, Rn. 22, KHS, C-214/10, EU:C:2011:761, Rn. 23, und Dominguez, C-282/10, EU:C:2012:33, Rn. 16)

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass zum einen Art. 7 der Richtlinie 2003/88 nicht zu den Vorschriften gehört, von denen die Richtlinie ausdrücklich Abweichungen zulässt (vgl. Urteil Schultz-Hoff u. a., EU:C:2009:18, Rn. 24), und dass zum anderen diese Richtlinie die Ansprüche auf Jahresurlaub und auf Bezahlung während des Urlaubs als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs behandelt.
(EuGH, Urteil vom 12. Juni 2014 – C -118/13 -Bollacke)

Schließlich hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass der Arbeitnehmer, wenn das Arbeitsverhältnis geendet hat und es deshalb nicht mehr möglich ist, tatsächlich bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 Anspruch auf eine Vergütung hat, um zu verhindern, dass ihm wegen dieser Unmöglichkeit jeder Genuss des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, selbst in finanzieller Form, vorenthalten wird.
(EuGH, Urteil vom 12. Juni 2014 – C -118/13 –Bollacke;
vgl. in diesem Sinne Urteile Schultz-Hoff u. a., EU:C:2009:18, Rn. 56, sowie Neidel, C-337/10, EU:C:2012:263, Rn. 29)

Der Gerichtshof hat daher befunden, dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben bzw. im Krankheitsurlaub war und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht wahrnehmen konnte.
(EuGH, Urteil vom 12. Juni 2014 – C -118/13 –Bollacke;
Urteil Schultz-Hoff u. a., EU:C:2009:18, Rn. 62)
(…)
Daraus folgt zum einen, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass der Tod des Arbeitnehmers, der das Arbeitsverhältnis beendet, den Arbeitgeber des verstorbenen Arbeitnehmers der Zahlung der finanziellen Vergütung enthebt, die Letzterem normalerweise für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zugestanden hätte, und zum anderen, dass eine solche Vergütung nicht davon abhängig gemacht werden kann, dass im Vorfeld ein entsprechender Antrag gestellt wurde.
(EuGH, Urteil vom 12. Juni 2014 – C -118/13 -Bollacke)

 

Der Urlaub in Deutschland als etwas ganz heiliges ...

Trotz dieser klaren Worte scheinen

„die Deutschen (..) da immer rum(zueiern) und bemühen sich ständig damit, dass der Urlaub etwas ganz ‚Heiliges‘ sei, was man nur erhalten könnte, wenn man auch den Erholungswert etc. noch genießen könne usw.“

so wie dies der Kommentator Gast123 am Sa, 02.06.2018 auf http://www.community.beck.de/blog formuliert.

Denn erneut hat der Fall einer Alleinerbin eines Anfang 2013 verstorbenen Arbeitnehmers, das Bundesarbeitsgericht (BAG) dazu veranlasst, den Europäischen Gerichtshof zu der Frage anzurufen, ob der Erbin ein Abgeltungsanspruch für den vom Verstorbenen bis zu seinem Tode noch nicht genommenen Jahresurlaub zustehe.

Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes könnten weder Urlaubs- noch Urlaubsabgeltungsansprüche nach § 7 Abs. 4 BUrlG iVm. § 1922 Abs. 1 BGB auf den Erben eines Arbeitnehmers übergehen, wenn dieser während des Arbeitsverhältnisses versterbe.
Das BAG meinte, der EuGH habe noch nicht die Frage entschieden, ob der Anspruch auf finanziellen Ausgleich auch dann Teil der Erbmasse wwerde, wenn das nationale Erbrecht dies ausschließe.
Darüber hinaus sei nicht geklärt, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC auch in den Fällen eine erbrechtliche Wirkung zukomme, in denen das Arbeitsverhältnis zwischen Privatpersonen bestanden habe.
Ferner bestehe auch noch Klärungsbedarf bezüglich des Untergangs des vom Unionsrecht garantierten Mindestjahresurlaubs.
Und schließlich sei In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union anerkannt, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub untergehen könne, wenn der Urlaub für den Arbeitnehmer keine positive Wirkung als Erholungszeit mehr habe. Letzteres sei nach dem Tod des Arbeitnehmers aber der Fall, weil in der Person des verstorbenen Arbeitnehmers der Erholungszweck nicht mehr verwirklicht werden könne.
(Pressemitteilung BAG, Beschluss vom 18. Oktober 2016 - 9 AZR 196/16 (A) -)

 

Der Generalanwalt beim EuGH äußerte sich bereits deutlich

Eine Entscheidung des EuGH steht noch aus.

Aber der Generalanwalt beim EuGH hat sich am 29.05.2018 mit seinen Schlussanträgen geäußert:

Wenn diese Lösung in ihrer konkreten Anwendung nicht wirkungslos bleiben soll, bedeutet sie zwangsläufig, dass der Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub auf die Erben des verstorbenen Arbeitnehmers im Wege der Erbfolge übergeht.

Mit anderen Worten:
Da der Gerichtshof entschieden hat, dass die Ansprüche auf Jahresurlaub und auf Bezahlung während des Urlaubs zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs darstellen, dass die finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub ein Ausgleich dafür sein soll, dass es dem Arbeitnehmer nicht mehr möglich ist, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrzunehmen, und unerlässlich ist, um die praktische Wirksamkeit dieses Anspruchs sicherzustellen, und dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub deshalb nicht durch den Tod des Arbeitnehmers untergehen kann, ist daraus zwangsläufig zu schließen, dass dessen Erben die Möglichkeit haben müssen, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der diesem Arbeitnehmer zustand, geltend zu machen, und zwar in Form einer finanziellen Vergütung. Die gegenteilige Lösung hätte zur Folge, dass „ein unwägbares, weder vom Arbeitnehmer noch vom Arbeitgeber beherrschbares Vorkommnis“ dem verstorbenen Arbeitnehmer rückwirkend seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub entziehen würde.
(Generalanwalt beim EuGH, 29.05.2018 - C-569/16, C-570/16)

 


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Letzte Änderung am Tuesday, 07 March 2023 12:11
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Gerhard Ostfalk

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